CIRS Berlin ÄZQ Deuschte Krankenhaus Gesellschaft Deutscher Pflegerat e.V.

Fälle des Monats

Fall des Monats „Februar 2012“: Problematik: Medikamente via Magensonde

  • Titel: Problematik: Medikamente via Magensonde
  • Altersgruppe: 81-90
  • Geschlecht: Unbekannt
  • Zuständiges Fachgebiet: Innere Medizin
  • In welchem Kontext fand das Ereignis statt?: Invasive Massnahmen (Diagnostik / Therapie)
  • Wo ist das Ereignis passiert?: keine Angabe
  • Versorgungsart: Routinebetrieb
  • Was ist passiert?: Bei einem Patienten wurde aufgrund zunehmender Schluckstörungen eine Magensonde gelegt. Eine Kontrolle der bestehenden Medikamente auf ihre Sondengängigkeit erfolgte dabei nicht. Erst nach mehreren Tagen kontrollierte eine engagierte Pflegekraft die bestehende Medikation anhand einer Liste aus dem Internet auf ihre Eignung für Sondenapplikation. Dabei stellte sich heraus, dass mehrere der verordneten Medikamente nicht für die Gabe über Magensonde geeignet waren.
  • Was war das Ergebnis?: Mehrere Mediakmente wurden über mehrere Tage nicht sachgemäß verabreicht. Möglicherweise war ihre Wirksamkeit dadurch beeinträchtigt. Konkrete Folgen am Patienten wurden nicht beobachtet.
  • Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?: Wissen über die Besonderheiten der Medikamentenapplikation über Sonden kann (abgesehen von einzelnen bekannten Medikamenten, wie z. B. "Pantozol") weder bei Ärzten noch bei Pflegekräften vorausgesetzt werden. Entsprechende Listen sind selten auf Station vorhanden, sollten aber von den Häusern gestellt werden.
    Es wäre sinnvoll entsprechende Informationen in die Standard-Nachschlagewerke ("Arzneimittel-Pocket" etc.) aufzunehmen.
  • Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf?: Täglich
  • Kam der Patient zu Schaden?: nein
  • Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?:
    • Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
    • Ausbildung und Training
    • Persönliche Faktoren des Mitarbeiters (Müdigkeit, Gesundheit, Motivation etc.)
    • Kontext der Institution (Organisation des Gesundheitswesens etc.)
    • Medikation (Medikamente beteiligt?)
  • Wer berichtet?: Pflege-, Praxispersonal

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de


Autorin: Pamela Kantelhardt, Fachapothekerin für klinische Pharmazie, Mainz

Zur oralen Applikation eines Wirkstoffes stehen zahlreiche unterschiedliche Arzneiformen zur Verfügung. Diese sorgen z. B. für den Schutz des Wirkstoffes vor der Magensäure nach oraler Applikation, zum Schutz des Patienten vor lokalen Nebenwirkungen oder zum Transport eines Wirkstoffes an den richtigen Resorptionsort (z. B. Dünndarm). So schützen magensaftresistente Überzüge den Wirkstoff vor der Magensäure, eine Freigabe des Wirkstoffes erfolgt erst im Darm. Retardierte Arzneiformen setzen ihren Wirkstoff verzögert frei, dadurch kann z. B. ein Dosierintervall verlängert werden bzw. können gleichmäßigere Spiegel erreicht werden.

Ein Zerstören der Arzneiform bei der Vorbereitung zur Applikation über Sonde (z. B. lösen, mörsern) kann u. a. zu Zerstörung des Wirkstoffes führen, zu Wirkverlust bzw. Wirkverstärkung und Überdosierung, und/oder zum Verstopfen der Sonde durch unlösliche Partikel/Überzüge.

Im vorliegenden Fall wurden alle zuvor per os verordneten Medikamente unkritisch für die Applikation über Sonde übernommen. Erst nach Prüfung durch eine erfahrene Kraft stellte sich heraus, dass nicht alle Arzneiformen hierfür geeignet waren. Diese Prüfung hätte umgehend bei Umstellung auf Sondengabe durchgeführt werden müssen inklusive der möglicherweise notwendigen Umstellung auf andere Arzneiformen. So z. B. können Retardarzneiformen durch niedriger dosierte Präparate und ein kleineres Dosisintervall ersetzt werden, Medikamente mit nicht magensaftresistenten Wirkstoffen können durch Arzneiformen mit überzogenen multi-unit-pellet-systems (MUPS) ersetzt werden, Tabletten bzw. Dragees können z. B. durch oral applizierbare Lösungen bzw. Tropfen oder auch Säfte ersetzt werden.

Nur ein richtiger Umgang mit den Arzneiformen gewährleistet eine sichere und wirkungsvolle Arzneimittelapplikation. Hierzu gehört eine Prüfung der verordneten Arzneimittel bei Wechsel des Applikationsweges. Diese kann z. B. durch einen Apotheker durchgeführt werden oder anhand von Listen, in denen die Möglichkeit einer Applikation verschiedener Arzneimittel über Sonde dokumentiert ist. In vielen Krankenhäusern werden solche Listen z. B. durch die Krankenhausapotheke zur Verfügung gestellt [1, 2, 3].

Wichtig ist auch das Bewusstsein über ein Risiko bei falschem Applikationsweg bzw. Zerstören einer Arzneiform. Hierzu kann z. B. mit visuellen Darstellungen vor Ort auf das Problem aufmerksam gemacht werden, inklusive einer Liste der optimalen Arzneimittel bzw. Arzneiformen zur Sondenapplikation [4].

Literatur

[1] http://www.pharmatrix.de/cms/front_content.php?idcat=3, letzter Zugriff 20.12.2011

[2] http://www.uni-duesseldorf.de/Intensivpflege/seiten_ft/pdf/arzneimittelliste_sonde.pdf, letzter Zugriff 20.12.2011

[3] C. Schäfer (Hrsg.): Sondenapplikation von Arzneimitteln für die Kitteltasche, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2010

[4] Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker ADKA e.V., Poster zur Sondenapplikation (Das Poster zur Sondenapplikation kann über amts@adka.de bezogen werden).