CIRS Berlin ÄZQ Deuschte Krankenhaus Gesellschaft Deutscher Pflegerat e.V.

Fälle des Monats

Fall des Monats „März 2013“: Fehlmedikation nach Krankenhausaufnahme

  • Titel: Fehlmedikation nach Krankenhausaufnahme
  • Altersgruppe: Unbekannt
  • Geschlecht: Unbekannt
  • Zuständiges Fachgebiet: Innere Medizin
  • In welchem Kontext fand das Ereignis statt? Diagnosestellung
  • Wo ist das Ereignis passiert? Krankenhaus
  • Versorgungsart: Routinebetrieb
  • Was ist passiert? Ein hochbetagter Patient wurde erstmalig aus einem Pflegeheim zur Behandlung einer neu aufgetretenen Erkrankung eingewiesen. Es wurde eine 3-seitige Kopie einer Medikamentenverordnung vom Pflegeheim mitgegeben. Der Patient selbst konnte keine Angaben zu seiner Vormedikation machen. Erst bei Entlassung wurde festgestellt, dass eine Seite der Medikamentenverordnung nicht zu dem aufgenommenen Patienten gehörte. Der Patient erhielt daher während des stationären Aufenthaltes irrtümlicherweise ein Antiepileptikum und ein Antidepressivum.
  • Was war das Ergebnis? Mutmaßlich infolge der Nebenwirkungen durch diese Fehlmedikation war der Patient während des stationären Aufenthaltes zeitweise verwirrt und gangunsicher. Die Symptomatik wurde zunächst auf eine vermutlich vorbestehende Demenz zurückgeführt. Retrospektive stellte sich heraus, dass der Patient vor dem stationären Aufenthalt an keiner wesentlichen kognitiven Einschränkung und/oder Gangstörung litt.
  • Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?  Sowohl vom Personal des Pflegeheims, als auch durch den aufnehmenden Arzt, wurde nicht jede Seite der mitgelieferten Unterlagen auf die Zugehörigkeit zu dem aufgenommenen Patienten genau überprüft (Unkonzentriertheit? Stress?). Hätte man ärztlicherseits die Indikation für die Vormedikation kritischer überprüft, wäre vermutlich aufgefallen, das keine eindeutige Indikation für das Antiepileptikum und ein Antidepressivum bestand. Mögliche Vermeidungsstrategie: bewußte Markierung des Patientennamens, z. B. mit Textmarker, auf jeder Seite der mitgelieferten Unterlagen bei Aufnahme; Kritische Überprüfung der Indikationen für die Vormedikation, ggf. Präparat zunächst pausieren und mit dem Hausarzt Rücksprache halten.
  • Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf? Erstmalig
  • Kam der Patient zu Schaden? Minimaler Schaden / Verunsicherung des Patienten
  • Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?
    • Ausbildung und Training
    • Persönliche Faktoren des Mitarbeiters (Müdigkeit, Gesundheit, Motivation etc.)
    • Organisation (zu wenig Personal, Arbeitsbelastung etc.)
    • Medikation (Medikamente beteiligt?)
  • Wer berichtet? Arzt / Ärztin, Psychotherapeut/in

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de

Autorinnen: Dr. med. J. Rohe, MPH; D. Renner, MScN, MPH; Dr. med. L. Fishman
Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, Berlin

Dieser Bericht beschreibt ein Ereignis bei dem ein Patient aus einem Pflegeheim nach der Aufnahme ins Krankenhaus zwei Medikamente erhält (aufgrund einer falschen Seite innerhalb der mitgegebenen Medikamentenverordnung), für welche keine Indikation besteht. Er entwickelt - vermutlich auf Grund der Medikation - Symptome, die nicht hinterfragt werden.

Über mögliche Ursachen wird wenig berichtet, doch folgende Punkte sollten bei der Planung von Vermeidungsstrategien solcher Ereignisse beachtet werden.

Im Pflegeheim:

  • Prozess der Mitgabe von Unterlagen zur Medikation? Wie werden die Unterlagen erstellt? Von wem? Wann? Findet eine Überprüfung auf Richtigkeit statt?

Im Krankenhaus:

  • Wie wird bei der Aufnahme im Krankenhaus sichergestellt, dass Patienten (v. a. jene, welche selbst keine Angaben machen können) die richtige indikationsbezogene Medikation erhalten und keine "falsche" Medikation (z. B. ohne Indikation, falsche Dosierung, Doppelungen)? (1. Welche Medikation nimmt der Patient aktuell ein? 2. Wie wird die Medikationsanamnese erhoben? 3. Wer ist verantwortlich? 4. Wie ist dieser Prozess gestaltet? usw.)
  • Wird kritisch nachgefragt, wenn ein Patient Symptome entwickelt, für die es eigentlich keinen Grund gibt? Wird bei der Aufnahme ermittelt, wie das Befinden des Patienten zuvor war? Welche Symptome vorbestehend bzw. welche neu sind?

Aufgrund der Komplexität dieses Ereignisses gibt es viele unterschiedliche Ansatzpunkte für Vermeidungsstrategien. Im Weiteren wird an dieser Stelle bewusst auf die Strategie "Medication Reconciliation" fokussiert. Ein zentrales Element des "Medication Reconciliation" ist die "Bestmögliche Medikationsanamnese" welche ebenfalls kurz dargestellt wird.

Eine Definition von "Medication Reconciliation" lautet: "Medication Reconciliation" bezeichnet die systematische Kontrolle der Arzneimittelverordnung, bei der die bestehende Medikation des Patienten mit der im Rahmen der Behandlung verordneten Medikation abgeglichen wird und etwaige Abweichungen in Rücksprache mit dem Verordner geklärt werden." (Fishman et al. 2012) Es geht vor allem darum, Medikationsfehler beim Übergang eines Patienten zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen des Gesundheitssystems (Aufnahme ins Krankenhaus, Entlassung, Verlegung innerhalb des Krankenhauses, Verlegung in andere Einrichtung) zu minimieren.

Die "Bestmögliche Medikationsanamnese" beschreibt einen Prozess, der bei Aufnahme eines Patienten ins Krankenhaus ablaufen soll und das Ziel hat, eine vollständige Liste der aktuellen Medikation des Patienten zu erhalten. Ein wichtiger Punkt dieser "Bestmöglichen Medikationsanamnese" ist - außer dem Gespräch mit dem Patienten und/oder seinen Angehörigen - die Verwendung einer zweiten Quelle zur Erhebung der Medikationsanamnese. Dies kann z. B. die Medikationsliste des Patienten oder die Befragung des Hausarztes sein. Die so erhobene vollständige Liste der aktuellen Medikation soll im weiteren Verlauf der Krankenhausbehandlung dazu dienen, Diskrepanzen im Rahmen der Medikation zu verhindern.

Zur Strategie des "Medication Reconciliation" gibt es im Rahmen des internationalen WHO-Projekts High 5s (http://patientensicherheit-online.de/h5s, Lead technical agency Germany: ÄZQ und APS) umfangreiche Unterlagen auf Deutsch, die unten zum Download bereit stehen.

  1. Leitfaden "Bestmögliche Arzneimittelanamnese" im Rahmen der High 5s-SOP "Medication Reconciliation"
  2. Kurzversion Handlungsempfehlung High 5s-SOP "Medication Reconciliation bei Aufnahme"

In dem oben beschriebenen Fall hätte eine systematische "Bestmögliche Medikationsanamnese" sehr wahrscheinlich dazu geführt, dass entweder der falsche Medikationsbogen oder die Diskrepanz zwischen Medikation und fehlender Indikation aufgefallen wäre.

Literatur:
Fishman L, Renner D, Thomeczek C. Sicherstellen der richtigen Medikation bei Übergängen im Behandlungsprozess. Krankenhauspharmazie 2012;33:514-8.

Medien:

  1. Dateiname: Bestmoegliche-Arzneimittelanamnese-Leitfaden.pdf
    Kommentar: Bestmoegliche Arzneimittelanamnese
  2. Dateiname: Medication-Reconciliation-dt-Kurzversion.pdf
    Kommentar: Medication Reconciliation Kurzversion