Fälle des Monats
- Fall des Monats "September 2025": EK verworfen durch fehlenden zeitnahen intravenösen Zugang
- Kommentar
Fall des Monats "September 2025": EK verworfen durch fehlenden zeitnahen intravenösen Zugang
Fall-Nummer:
279616
Zuständiges Fachgebiet:
Innere Medizin
Altersgruppe des Patienten:
unbekannt
Geschlecht des Patienten:
weiblich
Wo ist das Ereignis passiert?
Krankenhaus
Welche Versorgungsart:
Routinebetrieb
In welchem Kontext fand das Ereignis statt:
Organisation (Schnittstellen / Kommunikation)
Was ist passiert?
Für einen Patienten wurde ein Erythrozytenkonzentrat bestellt und vom Pflegepersonal aus dem Blutdepot abgeholt. Als das Erythrozytenkonzentrat bereits für die Transfusion vorbereitet, also "angestochen" war, wurde festgestellt, dass die Patientin keinen i.v.-Zugang mehr hatte. Die Neuanlage gestaltete sich schwierig bei der adipösen Patientin, die nach einigen vergeblichen Versuchen weitere Versuche ablehnte. Auch wurde der diensthabende Arzt dann zu weiteren Patienten abgerufen. Als viel später der i.v. - Zugang etabliert werden konnte, musste das Erythrozytenkonzentrat verworfen werden, weil die maximal zulässige Lagerzeit von 2 h (bei angestochenem EK) überschritten war.
Was war das Ergebnis?
Das Erythrozytenkonzentrat wurde verworfen, es wurden im Verlauf zwei weitere Erythrozytenkonzentrate transfundiert.
Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereigniss?
Abweichen von Standards, Falsche Planung des Vorgehens, Kommunikationsdefizite
Kam der Patient zu Schaden?
Minimaler Schaden / Verunsicherung des Patienten
Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei:
- Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
- Organisation (zu wenig Personal, Standards, Arbeitsbelastung, Abläufe etc.)
Wie häufig tritt dieses Ereignis ungefähr auf?
erstmalig
Wer berichtet?
Arzt / Ärztin, Psychotherapeut/in
Feedback des CIRS-Teams / Fachkommentar
Kommentar:
Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Problemanalyse
Blutprodukte auf Station sollen unverzüglich verabreicht werden. Das bedeutet für den Prozess der Transfusion, dass vor Bestellung des Blutproduktes die Voraussetzungen für die unmittelbare Transfusion überprüft werden sollten. Stimmt die Indikation, ist ein Venenzugang etabliert, sind die personellen Ressourcen für die Durchführung verfügbar? Erst wenn diese vorbereitenden Fragen geklärt sind sollte das Produkt bestellt werden.
Die Schilderung dieses Falles lässt folgende Punkte zur zukünftigen Vermeidung der verzögerten Versorgung und des Verwurfs einer Blutkonserve zu:
1. Im Routinebetrieb einer Einrichtung, die regelmäßig Blutkonserven transfundiert, sollte es möglich sein, innerhalb von 2 Stunden einen noch so schwierigen Venenzugang anzulegen. Mögliche Ursachen könnten eine ausgedünnte Personalsituation, Arbeitsverdichtung, mangelnde Berufserfahrung der beschäftigten Ärzte, mangelnde interdisziplinäre Kooperation und Kommunikation sein. Die Behebung der möglichen Ursachen ist nicht einfach, aber notwendig, wie dieser Fall unterstreicht.
2. Die mangelnde Priorisierung der Verabreichung von Blutkonserven im Vergleich mit anderen Aufgaben kann ebenso beigetragen haben, dass hier eine altruistisch gespendete und wertvolle Blutkonserve verworfen wurde. Die Tatsache, dass andere Arbeiten andere Ärzte davon abgehalten haben, dem Kollegen zu helfen, zeigt, dass der „ganz besondere Saft" zumindest in dieser Einrichtung nicht als solcher wahrgenommen wird. Eine Fortbildung zum Konservenmangel und zu den logistischen Herausforderungen der Blutspendedienste als Pflichtvorlesung Transfusionsmedizin erscheint sinnvoll.
3. Verzögerungen der Versorgung mit Blutkonserven zählen laut SHOT Report (Serious Hazards of Blood Transfusion) zu den potenziell vermeidbaren Gefährdungen der Patienten und es sollten deshalb starke Anstrengungen zur zukünftigen Vermeidung unternommen werden. Die Einübung des Versorgungsprozess im Normalfall ist Grundvoraussetzung für die reibungslose Versorgung im Notfall und deshalb auch in diesem Fall bedeutsam.
4. Die Verzögerung der Blutversorgung ist hauptsächlich bei aktiven Blutungen erheblich. Hier scheint es sich nicht um eine solche Situation gehandelt zu haben. Die Dringlichkeit der Indikation zur Bluttransfusion könnte dann doch nicht so gravierend gewesen sein, wenn 2 Stunden gewartet werden konnte und die Patientin den i.v.-Zugang ablehnen konnte. Das Transfusionsausmaß erscheint mit 2 „weiteren" EKs ungenau, aber auch hier ist die Warnung der Vermeidung der routinemäßigen Doppeleinheit naheliegend.
5. Ökonomisch schlägt sowohl die Blutkonserve und die im Prozess gebundenen Personen wie auch die verminderte Zufriedenheit der Patientin zu Buche. Das sollte der GF im Bearbeitungsprozess des Ereignisses vermittelt werden.
6. Ein „angestochenes" Erythrozytenkonzentrat kann nicht nur 2 sondern 6 Stunden verwendbar sein (vgl. einschlägige Gebrauchs- und Fachinformationen). Im vorliegenden Fall hätte das EK also auch nach der verzögerten Anlage eines i.v.-Zugangs noch verabreicht werden können. Ggf. ist hier eine Anpassung der hausinternen Anweisungen erforderlich.