CIRS Berlin ÄZQ Deuschte Krankenhaus Gesellschaft Deutscher Pflegerat e.V.

Fälle des Monats

Fall des Monats „April 2012“: Vorgehen bei Freiheitsentziehenden Maßnahmen

  • Titel: Vorgehen bei Freiheitsentziehenden Maßnahmen
  • Altersgruppe: 61-70
  • Geschlecht: Unbekannt
  • Zuständiges Fachgebiet: Neurologie
  • In welchem Kontext fand das Ereignis statt?: Invasive Massnahmen (Diagnostik / Therapie)
  • Wo ist das Ereignis passiert?: Krankenhaus
  • Versorgungsart: Routinebetrieb
  • Was ist passiert?: Ein Patient war nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und nicht mehr orientiert. Da er zudem starke Schluckstörungen hatte, wurde er über eine Magensonde ernährt. Nachdem er sich diese selbst gezogen hatte, wurde er an der nicht plegischen Seite mit einer Handmanschette fixiert und dadurch seiner letzten Mobilität beraubt. Diese Maßnahme sollte nur vorübergehend sein, da die Anlage einer PEG geplant war. Aus verschiedenen Gründen kam diese jedoch nicht kurzfristig zustande, so dass der Patient mehr als zwei Wochen vollständig immobilisiert war - mit kurzen Unterbrechungen durch Grundpflege und krankengymnastische Betreuung. Der Patient verstarb schließlich, bevor die PEG-Anlage zustande kam. Es gab weder ein Fixierungsprotokoll noch eine Diskussion über Sinn der Fixierung oder Alternativen dazu.
  • Was war das Ergebnis?: Der geringe Rest an Lebensqualität des Patienten wurde in den Wochen vor seinem Tod unnötig eingeschränkt. Deprivation wurde gefördert. Der Patient hat sich gegen die Fixierung aufgelehnt.
  • Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?: Betriebsblindheit und einseitige Konzentration auf den Aspekt der Ernährung. Der Patient war sozial isoliert und hatte keine Angehörigen, die sich für seine Belange eingesetzt haben. Das Pflegepersonal war so überlastet, dass es einen nicht-fixierten Patienten nicht hätte ausreichend überwachen können. Eine parenterale Ernährung über eine gut gesicherte Braunüle wäre wahrscheinlich ohne Fixierung möglich gewesen, wurde aber mit dem Hinweis abgelehnt, dass parenterale Ernährung grundsätzlich nur kurzzeitig verabreicht werden solle. Man hätte ärztlicherseits eine schnelle PEG-Anlage durchsetzen können.
  • Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf?: leer
  • Kam der Patient zu Schaden?: leer
  • Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?:
    • Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
    • Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
    • Persönliche Faktoren des Mitarbeiters (Müdigkeit, Gesundheit, Motivation etc.)
    • Organisation (zu wenig Personal, Arbeitsbelastung etc.)
    • Patientenfaktoren (Sprache, Einschränkungen, med. Zustand etc.)
    • Kontext der Institution (Organisation des Gesundheitswesens etc.)
  • Wer berichtet?: Pflege-, Praxispersonal

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de


Autorinnen:

  • Diplom-Pflegewirtin Carola Stenzel, MA, Referentin Qualitätsmanagement, CURA Seniorenwohn- und Pflegeheime Dienstleistungs GmbH
  • Dr. med. Barbara Hoffmann, Ärztekammer Berlin, Abteilung Fortbildung / Qualitätssicherung

Der Patient war nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt und wurde wegen Schluckbeschwerden über eine Magensonde ernährt. Diese hatte er - er wird als nicht orientiert beschrieben - sich einmal gezogen, woraufhin seine nicht gelähmte Hand nun mit einer Manschette am Bett fixiert wurde. Im vorliegenden Fall scheint die fast ununterbrochene Fixierung eines Patienten nicht geplant gewesen zu sein. Die Anlage der PEG jedenfalls wurde offensichtlich nicht zeitnah durchgeführt, die Gründe dafür gehen aus dem Bericht nicht hervor.

Die Fixierung ist eine Freiheitsentziehende Maßnahme (FEM) und somit ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte des Menschen, der in begründeten Ausnahmefällen zulässig ist. Grundsätzlich bedarf es allerdings einer richterlichen Entscheidung. Rechtfertigungsgründe sind neben der tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen auch Notwehr und Notstand. In einer Notsituation – und um eine solche hat es sich hier primär gehandelt, die Eigengefährdung des Patienten – darf eine FEM im Sinne des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) umgehend durchgeführt werden, wenn keine weniger einschneidenden Mittel zum Erfolg führen. Alternativen muss man also immer ernsthaft geprüft haben, die FEM ist das letzte zur Verfügung stehende Mittel, um eine Notsituation abzuwenden. Personalmangel rechtfertigt eine Freiheitsentziehende Maßnahme nicht!

Im vorliegenden Fall besteht also die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen dem Schutz des Patienten vor seiner Selbstgefährdung, die Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel zur Folge hätte, und der Einschränkung seiner verbleibenden Bewegungsfreiheit. Alternativen zur Magensonde wurden zwar geplant, aber innerhalb von einer Reihe von Tagen nicht umgesetzt.

Grundsätzlich bedarf jede Fixierung einer ärztlichen Anordnung und eines richterlichen Beschlusses eines Vormundschaftsgerichts. Wenn eine FEM ärztlich angeordnet wird, muss man sich also parallel um den Beschluss des Vormundschaftsgerichts bemühen, wenn der Patient nicht selbst einwilligen kann. Jede Freiheitsentziehende Maßnahme muss zudem engmaschig dokumentiert werden. Die Dauer muss ebenso wie die Art der Maßnahme ärztlich angeordnet werden, einschließlich Begründung, warum keine Alternativen zur FEM in Betracht kommen. Die Entscheidung über eine FEM sollte möglichst im Team zwischen Pflegenden und ÄrztInnen getroffen werden.

Folgendes Vorgehen empfiehlt sich grundsätzlich für jede Klinik:

  • Es muss geklärt sein, welche Freiheitsentziehenden Maßnahmen in welchen Fällen und wie vorübergehend durchgeführt werden dürfen.
  • Die richterliche Anordnung muss parallel eingeholt werden.
  • Eine ärztliche Anordnung über die Notwendigkeit der Freiheitsentziehenden Maßnahme muss vorliegen.
  • Es sollte möglichst die Einwilligung durch den Patienten selbst angestrebt werden.

Dokumentation der ärztlichen Anordnung einer Freiheitsentziehenden Maßnahme:

  • Alternativen zur FEM müssen ernsthaft geprüft und begründet abgelehnt werden.
  • Anordnung der Art, des Umfangs und der Dauer der Freiheitsentziehenden Maßnahme
  • Angabe des Rechtfertigungsgrundes
  • Name des anordnenden Arztes
  • Befristung der Maßnahme

Während einer Freiheitsentziehenden Maßnahme:

  • Der Patient muss unter visueller und akustischer Beobachtung sein.
  • Mehrmals tägliche Kontrolle der konkreten Freiheitsentziehenden Maßnahme.
  • Die Indikation muss täglich überprüft werden.
  • Dokumentation der durchgeführten freiheitsentziehenden Maßnahme:
    • Wer hat angeordnet, wer wurde fixiert, wer fixierte, von wann bis wann wurde fixiert, Vitalzeichen, Überprüfung der konkreten Maßnahme am Patienten etc.
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Anbei finden Sie eine Publikation des Bayrischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen zum Thema Verantwortungsvoller Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege.


Medien:

  1. Dateiname: BayStaats-VerantwortungsvollerUmgangFEM.pdf
    Kommentar: Bayerisches Staatsministerium: Verantwortungsvoller Umgang mit FEM in der Pflege