CIRS Berlin ÄZQ Deuschte Krankenhaus Gesellschaft Deutscher Pflegerat e.V.

Fälle des Monats

Fall des Monats „Januar 2014“: Wendl-Tubus rutscht in Trachea

  • Titel: Wendl-Tubus rutscht in Trachea
  • Zuständiges Fachgebiet: Innere Medizin
  • Altersgruppe: 81-90
  • Geschlecht: unbekannt
  • Wo ist das Ereignis passiert? Krankenhaus
  • Welche Versorgungsart: Routinebetrieb
  • In welchem Kontext fand das Ereignis statt? Nichtinvasive Massnahmen (Diagnostik / Therapie)
  • Was ist passiert? Nasopharyngealer Tubus nach Wendl dislozierte unbemerkt nach tracheal.
  • Was war das Ergebnis? Der Patient entwickelte eine respiratorische Insuffizienz. Glücklicherweise alarmierte die Pflegekraft sofort unter dem Verdacht einer Sondenkostaspiration und ebenfalls glücklicherweise entschied sich der behandelnde Arzt umgehend zu einer Bronchoskopie, in der der Wendl entdeckt (Lage subglottisch in der Trachea) und geborgen werden konnte.
  • Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?
    Gründe:
    1. Die Adapterplatte, die ein Tiefergleiten des Wendltubus hätte verhindern sollen, fehlte offensichtlich. Es handelte sich bei dem verwendeten Exemplar um eines, bei dem diese Platte entfernt werden kann.
    2. Der Wendl-Tubus wurde nicht/unzureichend fixiert.
    3. Es wurde bei der "Übergabe" das Einliegen eines Wendl-Tubus nicht übergeben, daher wurde der Wendl-Tubus auch nicht vermisst.
    Vermeidungsstrategien:
    1. Verwendung enes Wendltubus mit fester Adapterplatte.
    2. Fixierung des Tubus.
    3. Weitergabe dieser Information mit schriftlichem Vermerk in der Kurve.
  • Kam der Patient zu Schaden? Passagerer Schaden leicht - mittel
  • Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?
    • Kommunikation (im Team, mit Patienten, mit anderen Ärzten etc.)
    • Organisation (zu wenig Personal, Standards, Arbeitsbelastung, Abläufe etc.)
    • Technische Geräte (Funktionsfähigkeit, Bedienbarkeit etc.)
  • Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf? erstmalig
  • Wer berichtet? Arzt / Ärztin, Psychotherapeut/in

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de:

Autor: Dr. med. M. St. Pierre in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)

Der Melder berichtet von einem kritischen Zwischenfall, bei dem ein ‚"künstlicher Atemweg" (Wendl-Tubus) von einem Patienten unbemerkt aspiriert wird und zu Atemnot führt. Durch das rasche Handeln der zuständigen Pflegekraft und des Arztes kann die Ursache der Dyspnoe erkannt werden, bevor der Patient dauerhaft Schaden nimmt. Dass der kritische Zwischenfall ohne schweren Schaden bewältigt werden konnte, ist keineswegs selbstverständlich: eine Obstruktion der oberen Atemwege durch den aspirierten Tubus hätte sich auch rasch zu einer vitalen Bedrohung entwickeln können.

Der im Fallbericht verwendete Wendl-Tubus (1958 von Johann Wendl vorgestellt) gehört in die Gruppe der nasopharyngealen Tuben, welche der Sicherung der oberen Atemwege dienen und über die Nase eingeführt mit der Spitze im Rachen zum Liegen kommen. Sie verhindern damit eine Komplettverlegung der Atemwege durch einen zurückfallenden Zungengrund (was bei Bewusstlosigkeit oder Restwirkung von Sedativa und Hypnotika leicht geschehen kann) und schaffen so eine freie Passage von Luft aus der Umgebungsluft in die Trachea. Eine Aspiration kann durch den Wendl-Tubus nicht verhindert werden, weil sein distales Ende oberhalb der Glottis zu liegen kommt.

Eine vergleichbare Funktion erfüllt der Guedel-Tubus, (benannt nach dem amerikanischen Anästhesisten Arthur Guedel; 1883-1956) welcher allerdings über den Mund eingeführt wird und dadurch bei nur leichter Bewusstlosigkeit schnell einen Würgereiz auslösen kann. Somit liegt die Indikation für den Wendl-Tubus vor allem in der Atemwegssicherung bei nur geringfügig eingetrübten Patienten. Ein weiterer Vorteil des Wendl-Tubus liegt in der Tatsache, dass die Nase die einzige Körperöffnung ist, die nicht aktiv verschlossen werden kann, und der Tubus somit bei jedem Patienten mit unauffälliger Nasopharyngealanatomie eingeführt werden kann.

Die Meldung ist insofern "klassisch" für einen kritischen Zwischenfall, als einerseits eine Reihe an Faktoren zeitgleich wirksam werden und in einer Bedrohung des Patienten resultieren, andererseits aber auch häufig ein Quäntchen Glück dazu beiträgt, dass im richtigen Moment das richtige gedacht und gehandelt wird. Dies zumindest scheint auch die Einschätzung des Melders zu sein ("glücklicherweise entschied sich ...").

Der Melder analysiert seinen Bericht bereits hinsichtlich der beitragenden Faktoren:

  • Fehlerhaftes Material: Wendl-Tuben müssen zwingend gegen eine Aspiration gesichert sein. Wenngleich langjährige Mitarbeiter noch die Vorgehensweise kennen, dass man Wendl-Tuben mit einer proximal eingebrachten Sicherheitsnadel gegen eine Dislokation sichert, sollte diese Vorgehensweise der Vergangenheit angehören: Es sollten nur noch neuere Wendl-Tuben Verwendung finden, bei welchen eine Entfernung der Platte nicht möglich ist. Eine Konsequenz für die meldende Klinik liegt somit in der Anforderung, alle fehlerhaften Tuben aus dem Bestand zu entfernen und durch suffizientes Material zu ersetzen.
  • Informationsdefizit: Die Einlage eines Wendl-Tubus zur Sicherung des Atemweges stellt (auch wenn sie rasch durchgeführt ist) keine triviale Maßnahme hinsichtlich der Handhabung dar, wie nicht zuletzt dieser Fallbericht in aller Deutlichkeit belegt. Dadurch, dass diese Information den Pflegekräften zum Zeitpunkt der vitalen Verschlechterung nicht zur Verfügung stand, konnte sie auch nicht für die Differentialdiagnose herangezogen werden. Dass eine ähnliche Verdachtsdiagnose (Aspiration von Sondennahrung) das behandelnde Team letztlich dann doch recht schnell auf die richtige Fährte brachte, ist eben jene Portion Glück, die zu dem guten Ausgang beigetragen hat. Selbstverständlich ist es jedoch nicht: Hätte der Patient zusätzlich eine Komorbidität besessen, welche ebenfalls eine akute Atemnot hätte erklären können (z. B. Pneumonie; Herzinsuffizienz), hätte sich die Detektion des Problems erheblich verzögern können. Je nach verwendetem Modell hätte eine fehlende Röntgendichtigkeit auch in einer Röntgenthoraxuntersuchung keinen Hinweis auf die wahre Ursache geliefert. Eine mögliche Konsequenz für die meldende Klinik könnte somit einerseits darin bestehen, die Mitarbeiter im Umgang mit Atemwegshilfen zu schulen und auf Fallstricke zu sensibilisieren, und andererseits die Standards und Abläufe kritisch zu überdenken.

Literatur:

Hinweis der Redaktion: Bei vermuteten Defekten von Medizinprodukten besteht eine Berichtspflicht an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM) nach §3 der MPSV (Medizinproduktesicherheitverordnung - www.gesetze-im-internet.de/mpsv/__3.html).
Siehe auch BfARM unter www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/risikoerfassung/_node.html bzw. Formulare unter www.bfarm.de/DE/Service/Formulare/functions/Medizinprodukte/_node.html.

Das KH-CIRS-Netz Deutschland kann nicht an das BfARM berichten und ein CIRS-Bericht an das KH-CIRS-Netz Deutschland entbindet Sie nicht von Ihren Berichtspflichten gemäß MPSV.

Im Übrigen empfehlen wir bei Problemen mit Medizinprodukten au√üer der Meldung ans BfARM auch den Kontakt mit dem Hersteller aufzunehmen.